Weltweite Gewalt gegen Aktivist:innen

Überall auf der Welt, wo Menschen sich für die Umwelt einsetzen und damit wirtschaftlichen Interessen in die Quere kommen, versucht man, sie aus dem Weg zu räumen. In Europa haben wir vieles unternommen, damit solche Konflikte nicht in physische Gewalt münden – nicht immer und überall waren wir damit erfolgreich. Doch in anderen Teilen der Welt, vor allem im globalen Süden, ist die Lage eine ganze andere. Das liegt nicht daran, dass die Menschen dort so gewalttätig wären, sondern vielmehr daran, dass global tätige Konzerne ihre Macht dort auf andere Art ausüben können, in enger Zusammenarbeit mit korrupten Regimen.

Als die Organisation Global Witness im Jahr 1993 gegründet wurde, zählte sie zu den ersten NGOs, die diesen Zusammenhang zwischen Korruption und Konflikten um natürliche Ressourcen untersuchten. Global Witness beschäftigte sich anfänglich vor allem mit der Umweltzerstörung durch die Öl-, Gas-, Bergbau- und Holzindustrie. Die Mission: Man wollte Unternehmen und Regierungen für die von ihnen verursachten Zerstörungen zur Rechenschaft ziehen.

Ein weiterer Fokus kam erst vor zehn Jahren durch ein dramatisches Ereignis ganz oben auf die Agenda. Der CEO von Global Witness, Mike Davis, befand sich gerade in einer Besprechung, als eine Kollegin ihn mit erschütterter Miene in den Nebenraum rief. Sie brachte zunächst kein Wort heraus und Mike Davis machte sich Sorgen. Als sie schließlich zu sprechen begann, erfuhr Davis, dass Chut Wutty, einer ihrer ehemaligen Kollegen, in Kambodscha getötet worden war. 

Mike Davis und Chut Wutty hatten gemeinsam den illegalen Holzeinschlag in Kambodscha bekämpft. Danach gründete Wutty eine eigene Organisation, die sich für den Schutz der Wälder einsetzte. Nun war er tot, getroffen von einer Kugel, abgefeuert in einer Konfrontation mit den Sicherheitskräften jenes Unternehmens, gegen das Wutty wegen illegalen Holzeinschlags und wegen Landraubes ermittelte. 

Mike Davis wusste sehr genau: Chuck Wuttys Tod war kein Einzelfall. Überall auf der Welt riskierten indigene Völker und Umweltschützer:innen ihr Leben im Kampf gegen den Klimawandel und gegen den Verlust der biologischen Vielfalt. Aktivist:innen und indigene Gemeinschaften spielten eine entscheidende Rolle als letzte Verteidigungslinie gegen den ökologischen Kollaps. 

Die Ermordung des ehemaligen Kollegen veranlasste das Team von Global Wittness dazu, sich systematisch mit der Gewalt gegen diese Aktivist:innen zu beschäftigen. Jahr für Jahr veröffentlicht die Organisation seit damals einen Report mit Fallbeispielen und Zahlen. Ein Blick in die jüngsten Berichte offenbart ein grausiges Bild: das Bild eines Jahrzehnts des ungestraften, weltweiten Mordens. 1.733 Umweltschützer:innen wurden seit 2012 bei dem Versuch, ihr Land und seine Natur zu schützen, getötet. Alle zwei Tage verliert ein Mensch sein Leben im Kampf für die Umwelt. 

Dabei stellen die Daten, die Global Witness sammelt, nur die Spitze des Eisbergs dar. In vielen betroffenen Ländern gibt es keine freie Presse und keine unabhängigen Zahlen über Angriffe auf Umweltaktivist:innen. Viele der überlebenden Aktivist:innen werden zu Kriminellen erklärt oder durch Todesdrohungen zum Schweigen gebracht.

Die meisten Morde an Aktivist:innen finden in den Länder des globalen Südens statt. In den meisten Fällen stehen die Ermordeten den Interessen globaler Konzerne aus den reichen Ländern des Nordens im Weg, die ungestört und rücksichtlos die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den armen Ländern vorantreiben wollen.

Mit insgesamt 342 tödlichen Angriffen auf Umweltaktivist:innen in den letzten zehn Jahren ist Brasilien das Land mit der höchsten dokumentierten Anzahl an Fällen. Etwa ein Drittel der Getöteten waren Indigene oder Afroamerikaner und über 85 Prozent der Morde fanden im brasilianischen Amazonasgebiet statt. Es ging um Land- und Waldrechte. 

Verschärft wurden die Probleme in Brasilien durch die Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten. Bolsonaro förderte den illegalen Holzeinschlag und Bergbau. Er hebelte den Schutz indigener Landrechte aus. Er griff Naturschutzgruppen an und kürzte die Budgets und Ressourcen von Behörden zum Schutz der Wälder und der indigenen Bevölkerung. 

Nach Brasilien ist Kolumbien das Land mit der zweithöchsten Zahl an Morden. Auf Platz drei der tödlichsten Länder für Umweltaktivist:innen liegen die Philippinen mit 270 getöteten Menschen in zehn Jahren. Über 40 % der Ermordeten stammten auch dort aus indigenen Völkern. Die Zahlen von Global Witness zeigen, dass rund ein Drittel der Morde auf den Philippinen mit der Bergbauindustrie in Verbindung stand, ein weiteres Drittel mit der Agrarindustrie. Eine Verteilung, die sich ganz ähnlich auch in den meisten anderen Ländern des globalen Südens zeigte.

68 Prozent aller dokumentierten Morde in den letzten zehn Jahren entfallen auf Lateinamerika. Vor allem Mittelamerika war ein besonders tödliches Pflaster für Aktivist:innen. Mexiko (154 Morde), Honduras (117), Guatemala (80) und Nicaragua (57). 

In Südamerika war die Lage nicht nur in Brasilien und Kolumbien katastrophal, sondern auch in Peru (51 Morde), Venezuela (17) und Paraguay (13).

Für die meisten Länder in Afrika fehlen dagegen ganz einfach die Daten. Die spärlichen Daten, die vorhanden sind, zeigen ein beinahe ebenso düsteres Bild wie in Lateinamerika. Zum Beispiel in der Demokratische Republik Kongo (70 Morde).

In Asien lag Indien, mit 79 Morden, hinter den Philippinen auf Platz zwei der mörderischsten Länder. Aber auch in vielen anderen asiatischen Ländern wurden in den letzten zehn Jahren Umweltschützer:innen ermordet. Indonesien (14 Morde), Thailand (13), Kambodscha (10), Iran (9), Myanmar (8) und Bangladesch (7).

Die einflussreiche Wissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin Vandana Shiva, die seit Jahrzehnten für den Schutz der biologischen und kulturellen Vielfalt kämpft, schrieb im Vorwort zum aktuellen Bericht von Global Witness: „Ich könnte Ihnen sagen, wie es dieser Bericht tut, dass allein im letzten Jahr weitere 200 Umweltschützer ermordet wurden. Aber diese Zahlen erhalten erst dann wirkliche Bedeutung, wenn wir einige Namen der Toten nennen. 

  • Marcelo Chaves Ferreira. 
  • Sidinei Floriano Da Silva. 
  • José Santos López. 

Jeder von ihnen war ein Mensch, von seiner Familie und seiner Gemeinschaft geliebt. 

  • Jair Adán Roldán Morales. 
  • Efrén España. 
  • Eric Kibanja Bashekere. 

Jeder von ihnen stand jedoch Profitinteressen im Weg. 

  • Regilson Choc Cac. 
  • Ursa Bhima. 
  • Angel Rivas. 

Jeder von ihnen wurde getötet, weil er seinen Teil zur Verteidigung unseres Planeten beitrug.“

Es sei wichtig, schrieb Vandana Shiva, sich diese Opfer als wirkliche Menschen vorzustellen. Und es sei wichtig zu verstehen, dass sie sterben mussten, weil mächtige Interessen die Natur nicht als etwas betrachteten, das es zu schützen galt, sondern als etwas, das erobert und unterworfen werden musste. Diese Sichtweise habe ihre Wurzeln in den industriellen Revolutionen des 19. Jahrhunderts, so Vandana Shiva. Die Tatsache, dass diese Sichtweise ihren Ursprung im Westen hatte, dürfe auf keinen Fall übersehen werden: Zwar stammten fast alle ermordeten Umweltschützer:innen aus dem Globalen Süden. Doch es war nicht der Globale Süden, der von diesen Gewalttaten am meisten profitierte. 

Angetrieben durch das Wirtschaftswachstum und von der steigenden Nachfrage nach billigem Fleisch, nach Fernreisen und Mobiltelefonen im Westen, stieg die globale Nachfrage nach Futtermitteln, Brennstoffen und anderen Rohstoffen. Das führte zu einer zunehmenden Landnahme für die Agrarindustrie, den Holzeinschlag und den Bergbau, aber auch für Infrastrukturprojekte. Diese Landnahme erfolgte in der Regel durch große Unternehmen, durch ausländische Investmentfonds oder durch die Regierungen selbst. Die lokale Bevölkerung wurde so gut wie nie konsultiert oder entschädigt, der Schutz komplexer Ökosystem hintangestellt.

Die Ursachen für die Bedrohungen und Angriffe auf Land- und Umweltschützer:innen sind komplex und vielfältig. Doch die Länder, in denen diese Angriffe am häufigsten vorkommen, haben ein paar Gemeinsamkeiten.

Zum einen brechen solche Konflikte am häufigsten dort aus, wo der Landbesitz extrem ungleich verteilt ist (oft ein Erbe aus der Kolonialzeit) und in denen diese Ungleichheit beständig zunimmt. Brasilien zum Beispiel gehört weltweit gesehen zu den Ländern mit der größten Ungleichheit bei der Verteilung von Landbesitz. Am größten ist diese Ungleichheit in den brasilianischen Bundesstaaten mit der höchsten landwirtschaftlichen Produktion. Genau in diesen Staaten gibt es auch die meisten Angriffe auf Aktivist:innen. 

Die allerhöchste Konzentration von Landbesitz in Lateinamerika weist jedoch Kolumbien auf, das Land mit den zweitmeisten bestätigten Morden an Aktivist:innen. Ein Prozent der Betriebe verfügt dort über 81 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Die übrigen 99 Prozent der Betriebe teilen sich nur 19 Prozent der genutzten Fläche.

Besonders gefährlich für Aktivist:innen sind außerdem Länder, in denen gewaltsame Konflikte herrschen. In Kolumbien etwa tobt seit bald 60 Jahren der am längsten andauernde bewaffnete Konflikt in Lateinamerika. Die eigentliche Ursache dieses Konfliktes ist soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, zum Beispiel beim Landbesitz. Diese Ungleichheit wird durch den Konflikt zugleich auch weiter verstärkt. Klimawandel, Massenmigration und die Krise der Demokratie sind weitere Brandbeschleuniger.

Neben Ungleichheit, Kriegen und Bürgerkriegen, gibt es drei weitere Gemeinsamkeiten von besonders gefährlichen Ländern für Umweltaktivist:innen: Autokratie, Korruption und Straflosigkeit für Gewalttäter.

In den letzten Jahrzehnten fiel die Macht in vielen betroffenen Ländern in die Hände von autoritären Herrschern. In diesen Ländern gehen korrupte Regierungen Hand in Hand mit den westlichen Unternehmen gegen kritische Stimmen vor, sei es auf der Straße, in den sozialen Medien oder im Gerichtssaal. Wo immer es den Machthabern für den eigenen Reichtum oder Machterhalt nötig erscheint, werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Kein Wunder, dass irgendwann auch die körperliche Unversehrtheit von Umweltaktivist:innen nicht mehr gewährleistet ist.

In diesen Ländern ist es für Land- und Umweltschützer:innen auch besonders schwer, ihre Rechte durchzusetzen. Sie haben es mit bestochenen Sicherheitskräften zu tun und mit korrupten Richtern. Sie werden bedroht, eingeschüchtert, verhaftet, gefoltert und oft ermordet. Vorteilhaft ist ein solche Klima allgemeiner Korruption allein für jene Konzerne und Regierungen, die an diesen Orten ihre Interessen mühelos durchsetzen können.

Nur wenige Mörder von Umweltaktivist:innen werden jemals vor Gericht gestellt, da die Regierungen in diesen Ländern gar kein Interesse daran haben, diese Verbrechen zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen. Viele Behörden verschließen die Augen oder behindern aktiv die Ermittlungen. Potenzielle Täter haben in diesen Ländern keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Durch diese faktische Straffreiheit wird physische Gewalt gegen Kritiker:innen noch wahrscheinlicher.

Wenn wir das Leben schützen wollen, nicht nur jenes der Aktivist:innen, die für uns den Kopf hinhalten, sondern das Leben aller Lebensformen auf unserem Planeten, dann ist es höchste Zeit, dass wir den Profiteuren dieses schrecklichen Status Quo das Handwerk legen. Global Witness versucht deshalb, möglichst genau nachzuweisen, wer diese Profiteure sind, damit sie durch den Druck der Öffentlichkeit ihre mörderischen Praktiken einstellen müssen.

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